Freitag, 26. Juni 2009

Warum die Popkomm sterben muss

Stellen Sie sich vor: Sie schlagen, noch ohne Kaffee und Plausch, frisch rasiert und demotiviert in ihrer Arbeitsstätte auf und der Chef verkündet Ihnen dass demnächst eine Feier Ihnen zu ehren abgehalten wird - mit kleinen Tanzeinlagen, einer Ausstellung ihrer bisherigen Leistungen und allem anderen, was sie am liebsten ab der Rente verdrängen möchten.

Wüssten Sie nicht um den mangelnden Sarkasmus Ihres Chefs, und würden seine Aussage ernst nehmen, würden Sie diese Veranstaltung dann nicht beachtlich blöde finden?
Denn wer würde sich schon auf diese Art selbst feiern, außer Charles Manson, Josef Stalin und anderen Vertretern spezieller Kunstgattungen?

Na ja; die Musikindustrie.
Gut, andere Wirtschaftszweige betreiben auch das Streicheln des eigenen Egos, aber keiner hat es bisher zu dieser glänzenden Perfektion gebracht, wie es die Musikindustrie schaffte. Ganz gleich, ob man die Einführungen von "Deutschland sucht den Superstar" bejubelte, oder einfach nur Sekt schlürfen wollte (oder alkoholfreies Bier): Es wurde gefeiert und gelobt!

Wie kommt es also nun dazu dass diese Veranstaltung abgesagt wird, wo sie doch für Ego und Selbstlob unersetzlich war?
Man protestiert.
Richtig gehört: Der kleine, dritte Arm der Musikindustrie protestiert trotzig wie die 68er von einst. Gegen was? Nicht gegen altbackene Normen, sondern gegen die potentielle Käuferschaft, die momentan noch ein wenig anders shoppen geht.
Sie erinnern sich an "noch vier mal singen"? War zwar von der Filmindustrie, ist aber dennoch lustig und passt recht gut zum Gebaren der Musikindustrie.

(Nebenbei ist es anerkannter Schwachfug, dass die Popkomm angeblich kein Geld mehr hätte, bzw. die Aussteller es sich nicht mehr leisten könnten, Quellen:
  1. http://www.residentadvisor.net/news.aspx?id=10712 | Aussteller waren da, alles verlief positiv, aber man hat dann doch gekniffen
  2. http://www.motor.de/news/1109097;naechste_popkomm_erst_wieder_2010.html | Ausstellung platt, aber Festival findet statt
  3. http://www.rundschau-online.de/html/artikel/1238775235595.shtml | In Zeiten der Krise expandieren andere - Ist doch Geld da?)

Es wird also ein Zustand kritisiert, seitens der Industrie, bei dem es sich um ein teils hausgemachtes Problem geht, dem bis heute in nur geringfügiger Form vernünftig begegnet wurde: Dem illegalen Austausch von Musik, über sog. P2P Netzwerke (kurz: Filesharing, was im Grunde weder illegal ist, noch dämonisiert werden sollte, denn immerhin verteilt Blizzard, z.B., seine Patches über P2P und ist damit bei weitem nicht alleine).

Leider hat man aber immer nur den Makel erkannt, ohne eine Lösung, oder überhaupt die Ursache zu suchen. Für die Ursachen müssen wir etwas reisen, in der Zeit.
Meiner persönlichen Erinnerung nach (die dank meines Alters nur bis zum Mauerfall zurückreicht), begann der große Siegeszug der Mp3 ab dem Jahre 1998.
Ich hatte einen meiner ersten Rechner, nachdem ich über Jahre nur einen Sega Saturn quälen konnte (Audio CD, Audio CD mit Text und mit einer schweinsteuren Zusatzkarte sogar VCD und SVCD - YAY!) und erfreute mich mehrfacher Abstürze, sponsored bei Win98. Die Schule nervte, ich war ein molliges Kind und die Gedanken an Paarung, Küssen und die nette dunkelhaarige der Vengaboys trieben ihre pubertären Spielchen mit meinem Verstand. Kurz: Ich gehörte zu den ganz normalen Jugendlichen, die bei weitem noch nicht ausgereift waren und die man besser nicht auf die Menschheit hätte loslassen dürfen.

Die gleiche Gattung sitzt heute im Bus neben mir und ich könnte sie würgen. Jugend eben.

Was mir aus dieser Zeit aber, im Vergleich zu den heutigen Tagen, enormst in Erinnerung geblieben ist:

a) Ich konnte mit meinem Modem noch analog Faxe verschicken und Leute anrufen (auch wenn der Nutzen ausblieb, was nicht zuletzt an mangelnder Kenntnis lag).
b) Ich besaß vier CDs, von denen eine mir geschenkt wurde, eine einst meiner Mutter gehörte und die anderen zwei aus der Bravo Hits Serie stammten.

Zusammengefasst, habe ich damals also, trotz vorhandener Mittel, weniger CDs besessen als heute - obwohl das Interesse an Musik bereits bestand.

Woran lag das?
Aus meiner Sicht heraus, lag es an dem Mangel potentiell interessanter Musik. Meine heutigen Lieblingsgruppen, die bereits damals existierten, waren kaum im Radio zu hören und Viva war ein Sender des Mainstreams, den man auch so schon in jedem Radio zu hören bekam. Neueste, interessante Tracks wurden über die Mundpropaganda verbreitet und in meiner Schule gab es einen regen Austausch von einfachen Kassetten, MiniDiscs (ein Lehrer war Fan davon und infizierte uns) und den ersten, noch kostbaren, selbstgebrannten CDs.
Hierbei wurden auch direkt die Standesfragen geklärt und arme Kinder durften auch mal eine MiniDisc anfassen, oder eine CD bestaunen auf der mal nicht AOL draufstand.

Es war also eine wilde Zeit, in der man auf neue Musik nur durch die schwarzgekleideten Klassenkameraden stieß, oder mal verwegen ein Musikmagazin erwarb, um über den vorgesetzten Tellerrand zu blicken.

Die "hippen" Radiosender spielten brav die vorgesetzten Songlisten, die anderen Sender zeigten nur selten mehr als "70er,80,90er und das Beste von heute" (wobei man tunlichst vermied die Songs vorzustellen, oder überhaupt einen Interpreten zu nennen - immerhin gabs dafür ja teils _kostenpflichtige_ Hotlines).

Dann ging es aber Schlag auf Schlag - das Internet wurde für die Masse endlich tauglich und erschwinglich, Flatrates kamen auf und DSL! Gut, das zwar ein paar Jahre später, nachdem die Telekom endlich kapierte dass niemand auf Kanalbündelung und Videotelefonie über ISDN stand, aber es kam.
Was passierte dabei? Viel. Man hatte endlich einen Zugriff zum "Wilden Westen" der digitalen Welt, fand sich plötzlich mit den Vorläufern der heutigen "Social Communities" konfrontiert (Fortunecity - wer kennt es auch noch?) und wurde von versierteren Benutzern in die Geheimnisse des Webs eingeweiht.

Mit Schrecken erinnere ich mich noch an meine erste, selbst encodierte Sicherheitskopie meiner frisch gekauften Aquagen CD, die ich mit nicht mehr nachvollziehbarer Software auf die Festplatte und dann ins MPEG-1 Audio Layer 2 Format konvertierte.
Richtig - Mp2. War hin und wieder sogar damals noch verbreitet, aber auch schon zu der Zeit antiquar.

Was passierte zu diesem Zeitpunkt mit mir? Nun, ich fand endlich heraus dass es mehr gab, als mir Radio und Viva präsentierten und dass man durchaus auch bessere Lieder fernab des Mainstreams bekommen konnte. Endlich hatte ich direkten Zugriff auf Infos zu meinen Lieblingsbands, die ich erst durch das Web kennenlernen konnte und meine CD Sammlung wuchs.
Bis zum tragischen Verlust eines Großteils meiner Sammlung (Umzug; Wäschekorb mit CDs steht in der Nähe eines Heizlüfters, der sich zur spontanen Selbstentzündung entschied), die erst langsam wieder komplett ist, verfügte ich über 80 Scheiben.
Singles, Alben und sogar zwei Bootlegs, obwohl ich damals mit dem Begriff noch nichts anzufangen wusste.

Von vier zu achtzig, nicht gerade ein kleiner Boost.

Doch was hat die Musikindustrie in dieser Zeit getan? Man hat ein Nachfolgeformat zur MiniDisc entwickelt, die bereits damals mit allerlei Kopierschutz gängelte, brachte ein Pseudoverbesserung der CD Namens SACD auf den Markt und änderte recht wenig an der bisherigen Preisstruktur. Eine CD für 20 Mark war damals nicht selten (heute sind es je nachdem 20 Euro geworden, yay!).
Die Entdeckung des Internets ging komplett an der Industrie vorbei.

Ein Beweis der damaligen "Reaktionsfreudigkeit":
a) http://www.golem.de/showhigh2.php?file=/0308/26942.html&wort[]=popkomm
Deutsche Musikindustrie kündigt Musikportal für Herbst an
b) http://www.golem.de/showhigh2.php?file=/0310/28110.html&wort[]=popkomm
Musikindustrie verschiebt Start des Portals Phonoline erneut
c) http://www.golem.de/showhigh2.php?file=/0403/30386.html&wort[]=Phonoline
Bundeskanzler gibt keinen Startschuss für PhonoLine
Zitat: "Es handelt sich dabei um ein B-to-B-Angebot: Die Musik wird nicht direkt an Endkunden verkauft, sondern über Händler angeboten. Online-Händler können entweder ihre eigenen Shops eröffnen oder ihre vorhandenen Shops um Musik-Download-Angebote ergänzen."

"Zum Start sind alle angebotenen Titel mindestens je dreimal brenn- und dreimal exportierbar. Die Dateien enthalten außerdem ein Wasserzeichen."

"Vor dem ersten Download muss man die Software "My Playlist" für Windows (in Kürze nach Angaben der Verantwortlichen auch für Mac und Linux) installieren. Sie dient zugleich als Wiedergabeprogramm(...)"

d) http://www.golem.de/showhigh2.php?file=/0409/33801.html&wort[]=Phonoline
Deutsche Musikindustrie stellt Download-Plattform ein

Ein Beweis für die kundenorientierte Preispolitik:
http://www.golem.de/showhigh2.php?file=/0008/9325.html&wort[]=musicdownload24
Wer wollte nicht schon immer einmal 0,49 Pfennig für das _einmalige_ anhören eines Songs ausgeben?

Also eine reine Erfolgsgeschichte.
Wäre also Apple nicht dazwischengekommen und hätte mit Itunes eine Plattform geschaffen, die heute eine gigantische Nutzerbasis besitzt, würde die Musikindustrie noch mehr weinen und jammern, T-Online würde noch immer mit Musikload in einer dunklen DRM-WMA Ecke hocken und die Popkomm wäre wahrscheinlich wirklich pleite.

Man hat also, anstatt sich auf die geänderte Situation einzustellen, die Kunden geärgert, illegalisiert, ihrer Rechte beraubt und die Qualität der Neuerscheinungen ist auch nicht wirklich gestiegen - siehe Foto links.

Einige geistige Zuckungen gab es dann doch, aber von denen hat man bis heute nichts gesehen, gehört und höchstens nur den Verweseungsgeruch wahrgenommen.

Über Jahre gabs nur Zwangssoftware, ohne die man keine Songs hören und kaufen konnte, das WMA Format, womit Linux und Apple damals auch super klarkamen und teils derart astronomische Preisvorstellungen, dass man im Grunde schon einen Lachkrampf kriegen müsste. Wofür? Für schlecht gemasterte, der Idiotie des Konsums angepasste Musik.

Und in all dem Missmanagment, da will tatsächlich jemand gegen die Kunden protestieren?

Und sie haben es bis heute nicht gelernt, siehe:
http://www.potatosystem.com/genre/de/

Ein an sich interessantes System, verpackt in eine pottenhässliche Website, von der man nur Mp3s erwerben kann ohne deren Bitrate einsehen zu können, zudem weder die Qualität der Taggs einzusehen ist, noch ob Cover o.ä. mitgeliefert werden.
Na gut, bei einigen Angeboten kann man Covern _extra_ _kaufen_ und herunterladen. In welche Qualität? Keine Ahnung, war leider nirgens einzusehen.

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